Annähernd nicht existent

YELLA

Zwei Liebende aus verschiedenen Welten: Da ist Sie, Yella, die Schöne aus dem Nirgendwo im Osten Deutschlands. Und Er, Philipp, der Gerissene aus dem Nirgendwo Gesamt-Deutschlands - ein Handelsreisender im Auftrag des Risikokapitals. In einer Stadt, einer gespenstisch lebensfern aussehenden Stadt, treffen sie aufeinander. Sie wollte ihren neuen Job und bekam nur das, wovor sie von Zuhause geflohen war: Ruin. Er will Geld machen. Aber dafür gibt er zuerst Geld aus; an Firmen, die eigentlich kein Geld mehr bekommen sollten, deren Ideen und Geschäftsmodelle sich verflüchtigten, bevor sie überhaupt marktfähig werden konnten.

Ein Hotel ist der Ort ihrer ersten Begegnung, ein Ort ohne Vergangenheit, stetiger Wechsel bestimmt ihn. Ständig neue Menschen, Figuren, Schatten. Bilanzen? Yella hat Erfahrung mit Bilanzen: Wieviel, das bekommt Philipp erst mit, als er wieder einer dieser Firmen Geld geben soll. Aber Yella hat die Zahlen des zukünftigen Sterns am Wirtschaftshimmel längst durchschaut: Hier gibt es nichts zu holen, alles ist Schein, alles nur Pose. Philipp ist von der eloquenten, gutaussehenden Frau angetan.

Yella hat ein Problem: Ihr Ex-Mann läuft ihr nach. Seitdem sie ihre Heimat verließ, verlässt er sie nicht mehr, taucht des Nachts vor ihrem Hotelfenster auf, schleicht in ihr Zimmer. Und noch etwas irritiert sie, etwas Verstörendes: Der Blick ihres Vaters sprach Bände, als Yella das Angebot annahm und sich von ihrem Ex-Mann zum Bahnhof fahren lies. Jetzt wird sie es nicht mehr los, das "Fließen" in ihrem Ohr und die Krähe - Bote des Todes. In Philipp findet sie einen Gefährten, der Halt und Sicherheit verspricht und der eine Vision hat; etwas für die Zukunft, das Geld einbringt. Geld ist Yella an einem Mann wichtig. Deswegen hat sie ihren alten Mann verlassen, weil er alles Geld verloren hat. Eine letzte Firma muss Philipp noch erledigen, dann hat er genug zusammen, um die Koffer endgültig packen zu können. Yella versucht auf ihre Art, zu helfen: Das Analytische in ihr hat wie üblich erkannt, wo hier noch was zu holen ist. Doch Yellakommt der Tod erneut in die Quere.

Bonny und Clyde, nur ohne Waffen, das könnten Yella und Philipp durchaus sein. Ein Paar auf der stillen Überholspur des Geldrauschs. Sie kassieren, was zu kassieren geht, berauschen sich schnell daran - besonders die nüchterne Yella. Verspricht doch Philipps Traum unendliches Vermögen. Aber der Tod lauert den beiden auf. Und besonders Yella hat ungemachte Rechnungen offen, deren Schuldzins stetig steigt und der sich regelmäßig in Erinnerung bringt. Realität ist etwas anderes, hier hat es sich die Surrealität gemütlich gemacht. Christian Petzolds Abschluss seiner so genannten Gespenster-Trilogie ist erneut so ein seltsam fantastisches Artefakt der gescholtenen Berliner Schule. Mit YELLA erzählt er in steril-menschenleeren Kulissen eine Liebesgeschichte zweier annähernd nicht existenter Gestalten. Surrealismus im Deutschen Kino muss man sonst mit der Lupe suchen - Petzold serviert ihn frei heraus und in großartigen und gleichzeitig nüchternen Bildern. Von allen dreien, „Die Innere Sicherheit“, „Gespenster“ und YELLA, kommt letztgenannter dem Thema dieser großartigen Reihe wohl am nächsten. Menschen zwar, doch von ihrer Umwelt verschluckt, von sich selbst distanziert. Geister unserer Gesellschaft, wir riefen sie nicht, aber wir schufen sie durch das, was wir sind. Und los werden wir sie erst recht nicht. Schließlich sind sie Gespenster: Die Terroristen-Familie, die unbescholten in einer noblen Villen-Gegend überlebt, ohne auch nur ansatzweise wahrgenommen zu werden („Die Innere Sicherheit“). Das junge Mädchen und die Mutter, die ihre Tochter einstmals verlor - eine Tragödie und urbane Spukgeschichte zugleich („Gespenster“). Und schließlich die junge Frau und das Geld im Schattenreich der Zahlen und Bilanzen, der faulen Deals und des Betrugs, die in den Glashäusern des Kapitalismus gefangen ist (YELLA).
Petzolds geisterhafte Drei halten uns den Spiegel vor: Wir können darin die häßlichen Fratzen unserer Realität sehen. Glücklich können sich da die Gespenster schätzen, die kein Spiegelbild mehr haben. Beunruhigend und fantastisch zugleich.