Blauer Himmel

Gus van Sants LAST DAYS &
DIE TRILOGIE DES TODES

Strahlend blauer Himmel, wenige kleine Wolken, Kondensstreifen ziehen im Zeitraffer vorüber; die erste Einstellung aus Gus van Sants Film „Elephant“. Van Sant sucht in seinen Streifen immer wieder den Himmel. Als Heilsbringer? Als Fluchtweg? Im ersten Teil seiner Trilogie des Todes „Gerry“ („Elephant“ ist der zweite Teil) war der Himmel praktisch ein weiterer Darsteller. Unerbittlich blau, mit brennender Sonne. Himmel als Henker! Fast. Anders der letzte Teil von van Sants Trilogie, LAST DAYS: Ein dicht bewaldetes Grundstück, auf dem die prächtige Villa des Musikers Blake steht. Der Blick reicht hier nur bis zu den Baumkronen.

Die Kamera meidet den Blick nach oben. Sie bleibt im Nacken von Blake hängen oder flüchtet – scheinbar - in die Distanz. Oder schaut gleich zu Boden. Vorzeichen? Ein simpler Hinweis auf das bevorstehende Ende? Den Himmel wird dieses „Rock ‛n‘ Roll-Klischee“ wohl nie zu Gesicht bekommen, die Hölle schon eher. Dem abergläubischen Junkie Matt Dillon in van Sants großartigem „Drugstore Cowboy“, wären angesichts dieser Vorzeichen sämtliche Sicherungen durchgeknallt. Von Trip zu Trip ist schon ein Hut auf dem Bett zu einem mörderischen Vorzeichen für ihn geworden, doch darüber ist der Typ in LAST DAYS weit hinaus. Unerträgliche Nähe und rettende Distanz. Die letzten Schritte - hautnah. Es gibt Momente bei LAST DAYS, da wünscht man sich einfach, den Kinosaal verlassen zu können. Doch man kann nicht, Man ist gefangen. Letzte Rettung Klang und Geräusch. Man hört, was kommt? Nein! Unerbittlich werden dem Zuschauer auch noch Rettung verheißende Klangwelten geraubt und durch Klangcollagen ersetzt. Das war schon bei „Elephant“ so, das ist Gus van Sant!


Wirr murmelnd irrt Blake durch Wälder, über sein Grundstück, durchs Haus. Eine Seele auf innerer Emigration. Nein, diese Seele ist noch weiter weg - längst geflüchtet. Was hier umherirrt, ist eine menschliche Hülle auf der Suche nach Erlösung. Sie flüchtet lediglich vor den letzten Häschern des Lebens. Ein Privatdetektiv hier, eine Freundin dort. Die Mitbewohner des Hauses wimmeln den Privatdetektiv ab, die Freundin zieht resigniert wieder davon. Hier ist nichts mehr zu retten.

Die Mitbewohner in Blakes Haus, Bandkollegen vielleicht, sie kennen diese Wahrheit bereits. Sie lassen ihn gewähren, ist ihr Leben doch ebenso unstet wie die Hülle Blakes rastlos ist. Alkohol, Party, Alkohol. Einer der Typen versucht mit Blake über Songtexte zu sprechen, während Blake im Morgenmantel hinter einem Schlagzeug sitzt und Tütennudeln ist. Ein anderer Typ spricht ihn auf die fehlende Heizung an, während Blake jene Tütennudeln kocht. Später werden diese beiden Typen zusammen im Bett verschwinden. Wiederholung des Gesehenen, aber Wechsel der Perspektiven.

Gus van Sant ist ein Virtuose dieser Technik. In „Elephant“ lässt er den Zuschauer ein und die gleiche Szene aus der Sicht dreier verschiedener Protagonisten erleben. Doch bei jeder Begegnung ist die Geschichte bereits ein Stück weiter, ein neues Fragment preisgegeben. Ist das Puzzle komplett, gibt es keine Hoffnung mehr. In LAST DAYS wendet Gus van Sant diese Fragmentierung der Geschichte auch an, allerdings weniger gleitend. Es scheint einem, als ob sich die Geschichte manchmal verirrt hat. Was wiederum passt, denn der Hauptfigur der Story geht es nicht anders: Ziellos auf Erden wandelnd, ist schlussendlich klar, wohin die Reise geht. Bei allen Teilen dieser Trilogie des Todes kennt man das Ende bereits.

Sei es „Gerry“, inspiriert durch die spektakuläre Geschichte zweier junger Männer, die sich in der Wüste verirren und einer den anderen schließlich aus Mitleid umbringt. Oder „Elephant“, van Sants Auseinandersetzung mit der Thematik der Schulmassaker, allen voran dem Blutbad an der Columbine High Shool.

Die Filme der Trilogie sorgten für enorme Kontroversen, insbesondere „Elephant“, da van Sant hier dem Zuschauer sämtliche Erklärungsmuster für diese Taten vorenthält, mehr noch! Er führt die gängigen Erklärungen ad absurdum, indem er sie munter zitiert und so am Ende wieder zur Tat an sich zurückkehrt. Nicht ohne dem Publikum auf erschütternde Weise klar gemacht zu haben, dass die Ursachen dieser Blutbäder wesentlich komplexer und tief in unseren Gesellschaften zu suchen sind.

LAST DAYS, der großartige und gleichermaßen verstörende Abschluss der Drei, nimmt den Suizid der Musik-Ikone Kurt Cobain zum Ausgangspunkt. Doch ist dies kein Film über den Musiker, denn Cobain selbst taucht erst ganz zum Schluss auf - im Abspann: "Teilweise inspiriert durch den Tod..." schreibt van Sant. Ein kleines, schlichtes Statement, dem er noch ein "In Memoriam" folgen lässt: Im Gedenken an Kurt Cobain, ein reales Rock 'n‘ Roll-Klischee.