Komplizenschaft

SOMEWHERE


Das Leben ist schwer - in Hollywood. Schauspieler Johnny Marko hat ein Problem: Eigentlich lässt ihm sein Leben keine Zeit: Als gefragter Schauspieler eilt er von Termin zu Termin, Maskenabdruck hier, Pressekonferenz da, Fotoshooting mit zickigen Kolleginnen dort. Die Abendgestaltung wird von Ausflügen in die Hotelbar dominiert. Gelegentlich turnen zwei knapp bekleidete Tänzerinnen an ihren mitgebrachten Stangen durch Johnny Markos Hotelzimmer. Falls noch etwas Zeit bleibt, kurvt er ziellos mit seinem schwarzen Ferrari durch die Stadt. Johnnys Leben ist gefüllt - mit umtriebiger Langeweile. Genau genommen hätte er also Zeit für seine Tochter. Aber so einfach ist das alles nicht. Zumal sein Sexualleben allabendliche Höhepunkte verspricht.

Johnny ist ein Star, er lebt im Hotel "Chateau Marmont" am Sunset Boulevard, einem Haus, das genauso berühmt ist wie die Gäste, die dort absteigen, oder sogar dort wohnen - so wie Johnny. Wenn er durch die Stadt fährt, schaut er sich selbst ins Gesicht, denn die übergroßen Werbetafeln kündigen seinen nächsten Film an. Auf Pressekonferenzen steht er im Fokus – muss sich mit den merkwürdigen Fragen der Journalisten herumplagen.
Eine dieser Fragen: "Wer ist Johhny Marko?"
Genau jene Frage bringt den Filmstar, der alles zu haben scheint, aus dem Konzept. Ist er die Figur, die alle in ihn hinein projizieren? Ist er ein Frauenheld? Ist er ein Hamster im Getriebe Hollywoods, dessen Assistentin ihm jeden Morgen eine lange Terminliste überreicht? Ist er ein guter Vater, ist er überhaupt ein Vater? Johnny hat die Orientierung in seinem Leben verloren. Dabei lebt er dort, wo Unzählige hinwollen: Im Hollywood-Olymp. SOMEWHERE heißt der neue Film von Sofia Coppola. Im Zentrum ein Hollywoodstar, dessen Leben in den Ritualen der Traumfabrik erstarrt ist. Ein Luxusproblem? Sicherlich. Man muss allerdings anmerken, dass sich Sofia Coppola mit dieser Ausgangssituation in ihrem Sujet treu bleibt. Und das ist nicht unbedingt schlecht.

Zurück genommen inszeniert Sofia Coppola diese Geschichte. In ruhigem Erzähltempo schildert sie den drögen Alltag, der sich - subtrahiert man Ruhm und Geld - auch nicht übermäßig von dem anderer Normalsterblicher unterscheidet. Es geht um Maloche, um die Zeit dazwischen und um das schwer zu entziffernde Gefühl, dass es da doch noch mehr geben muss.

Johnnys 12-jährige Tochter Cleo bricht plötzlich in diesen Mikrokosmos der wohlsituierten Leere ein. Erst als kurze Stippvisite, dann dauerhaft. Ihre Mutter verabschiedet sich für länger, Cleo muss bei ihrem Vater bleiben. Für einen kurzen Moment stemmt sich Johnnys Leben dagegen. Aber das smarte und reichlich coole Mädchen reißt alle Widerstände schnell ein. Was folgt, ist einer der schönsten Vater-Tochter-Geschichten, die das Kino seit langer Zeit zu erzählen wusste.

Elle Fanning als Cleo | (c) Bild: Tobis Filmverleih 2010

Sofia Coppola baut bei ihrem Film ganz auf ein Dreigestirn, bestehend aus ihren beiden Hauptdarstellern und ihrem Kameramann Harris Savides. Und sie tut gut daran. Stephen Dorff und Elle Fanning bringen Glaubwürdigkeit und Sympathie auf die Leinwand. Vor allem Stephen Dorff gelingt es auf beeindruckende Weise, das Abstoßende seiner zunächst snobistischen Figur durch Bodenständigkeit wettzumachen, die innere Leere des Johnny Marko auszuloten und den Hunger nach Zugehörigkeit, nach Emphatie, nach real existierender Zuneigung und Liebe.

Kameramann Harris Savides greift für SOMEWHERE auf statische Halbtotalen zurück. Foto-grafiert oft aus indirekten Perspektiven heraus, verankert die Darsteller stets in den Räumen durch die sie sich bewegen. Der Zuschauer wird sowohl zum Beobachter als auch zum Teil des Films. Unterstrichen wird dies wiederum von subjektive Einstellungen, die nicht dem gängigen dramaturgischen Strickmustern entsprechend geschnitten werden, sondern als minutenlange Sequenzen im Film sind; Einladungen zum Gedankenspiel über den Ist-Zustand des Charakters Johnny Marko.

Dramaturgie und Schnitt widersetzten sich in SOMEWHERE auf wunderbare Weise gängigen Konventionen. Im Zusammenspiel mit der großartigen Kameraarbeit bekommt SOMEWHERE etwas Meditatives und Entrücktes. Traumwandlerisch, schwebend – Adjektive, die diese fantastische Eigenschaft des Streifens nur unzureichend umschreiben.

Abends, im Hotel | (c) Bild: Tobis Filmverleih 2010

SOMEWHERE, das ist einer dieser seltenen Filme, die sich unverzüglich und auf beste Weise in den Kopf einbrennen, die uns zu einer ewig währenden Komplizenschaft verleiten können. Eine Komplizenschaft mit einem Filmstar und seinem drögen Leben, mit einem Menschen und seinem Hunger nach einem kurzen Augenblick des echten Gücks, eine Komplizenschaft mit einem Vater und seiner Tochter. Ob sich Johnny und Cleo mit dem ungleichen Paar Charlotte und Bob bestens verstehen würden. Bestimmt! Sofia Coppolas SOMEWHERE – ein ehrlicher, klarer, großartiger Film.


SOMEWHERE
USA 2010
98 Minuten
Regie: Sofia Coppola
Buch: Sofia Coppola
Kamera: Harris Savides
Schnitt: Sarah Flack
Musik: Phoenix
Darsteller: Stephen Dorff, Elle Fanning, Chris Pontius, Michelle Monaghan



(c) Bildmaterial: Tobis Filmverleih 2010