Omnipräsent Abwesend

TEPENİN ARDI - BEYOND THE HILL
Berlinale 2012_Forum

Es beginnt mit Landschaft, aufgenommen in Cinemascope. Landschaft wird in diesem Film zum alles bestimmenden Element. Und dieser ganz spezielle Landstrich in der Türkei, der namenlos bleiben wird, ist besonders speziell. Ein traumwandlerisches, lang gezogenes Tal, umsäumt von Felsen, deren Schroffheit einen einfachen Aufstieg unmöglich macht. Es ist Sommer, die satten Wiesen sind zu vergilbtem Gestrüpp geworden, dessen Farbe fast goldgleich in die Kamera strahlt. Einzelne Bäume und kleine Wälder säumen einen schmalen Fluss, wechseln sich ab mit dichterem Wald. Inmitten dieser malerischen Landschaft liegt das spartanische Haus des pensionierten Forstverwalters Faik. Er lebt hier auf archaische Weise zusammen mit seinem Bruder und dessen Familie, Ehefrau, kleine Tochter, fast erwachsener Sohn. Sie leben isoliert von allem. Kein Telefon. Kein Strom. Sie bekommen Besuch, erwarteten und Ungebetenen. Aus der fernen Stadt ist Nusret angereist, Faiks Sohn, in Begleitung seiner beiden Nachkommen. Einer der beiden, der ältere, wirkt seltsam verschlossen. Sein jüngerer Bruder ist hingegen von pubertierender Unruhe getrieben und erpicht darauf, das Gewehr des Großvaters in die Hände zu bekommen.


Die Stimmung, oberflächlich sommerlich entspannt, scheint unterschwellig von einem Gefühl der Bedrohung durchsetzt. Schnell zeigt sich, Faik fürchtet die Nomaden der Gegend. Die wollen nicht einsehen, dass dies sein Land ist, und zerstören deshalb seine jungen Baumpflanzen, das behauptet er zumindest. Seine zunehmend paranoide Unruhe steckt die anderen an. Die jungen Pflanzen werden tatsächlich zerstört, doch der Täter ist augenscheinlich jemand anderes.
Regisseur Emin Alper skizziert zunächst verschiedene Einzelaspekte der Figuren und Figurenkonstellationen. Abhängigkeiten zwischen Faik und seinem Bruder scheinen auf, Faiks älterer Enkel ist durch seinen Militärdienst traumatisiert, kapselt sich ab. Sein jüngerer Enkel gerät in seiner Fixierung auf des Opas Flinte absehbar in Schwierigkeiten und kollidiert mit dem älteren Sohn von Faiks Bruder, Zafer.

BEYOND THE HILL gelingt es, über weite Strecken eine immense innere Spannung zu etablieren. Über allem steht die diffuse Bedrohung durch das omnipräsent Abwesende, die Nomaden. Die Landschaft, das Tal – ein Resonanzboden, ein Kessel, in dem in erster Linie die Konflikte zwischen den fesselnd gespielten Figuren langsam hochkochen. Hier entwickelt TEPENIN ARDI (BEYOND THE HILL) seine intensivsten, stillen Momente. Irgendwann muss das alles kippen, nichts anderes scheint diese dichte Schichtung von Problemen und Entwicklungen zuzulassen und genau das ist das größte Problem an diesem Werk. BEYOND THE HILL mutiert wortwörtlich in der letzten Minute zu einem Desaster und bricht unter dem dramaturgischen Gewicht der vorangegangenen 93 Minuten zusammen. Am Ende bleiben der schrille Klang einer Schlachtfanfare und das Bild von fünf Männern auf dem Weg in den Krieg.

TEPENİN ARDI - BEYOND THE HILL
Türkei/Griechenland 2012
Länge 94 Minunte
DCP, Cinemascope, Farbe
Regie, Buch: Emin Alper
Kamera: George Chiper-Lillemark
Schnitt: Özcan Vardar
Darsteller: Tamer Levent, Reha Özcan, Mehmet Özgür, Berk Hakman
Produktion: Bulut Film
(c) Bild: Bulut Film/Berlinale 2012