Berlinale 2015 - Bulletin (2) - HISTOIRE DE JUDAS

Ob Noah, die Bibel an sich, die Todsünden, die Kreuzigung Jesu - das Kino hat alles schon durchgespielt, was der Mythen- und Glaubenskosmos des Christentums zu bieten hat; mehrfach. Man könnte auch sagen: Dieser Stoff wird einfach nicht alt. Aber irgendwie ist er es doch mit jedem Film mehr, denn ob Staub wirbelnder Sandalenstreifen oder Effektgewitter aus Hollywood - wirklich neue Aspekte sind dem ganzen nicht mehr abzugewinnen. Allenfalls wird eine andere Lesart möglich, die wiederum auch (nur) in ihrem Zeitgeist verwurzelt ist.

Jesus, auf Judas Rücken getragen. | (c) Sarrazink Productions - Arte France Cinéma

Filmemacher Rabah Ameur-Zaïmeche findet in seinem HISTOIRE DE JUDAS genau genommen auch nur eine andere Lesart. Doch zugleich gelingt ihm etwas Beeindruckendes: Stellen wir uns Jesus als jungen, gut aussehenden und vor allem sehr charismatischen Mann vor (Nabil Djedouani). Jemand, der die Menschen um sich herum sofort verzaubert. Jemand, der alle Widerstände sofort bricht, allein weil er anwesend ist, weil er sitzt, kniet, sich beim Nachdenken zuschauen lässt.

Ein Mensch, zweifelsohne eine Führerfigur, und auch eine eitle Persönlichkeit, die sich ihre Umhänge und Kopftücher nicht nur ständig richtet, um für die Römer unerkannt zu bleiben. Sondern auch, um das eigene, das gute Aussehen sicherzustellen. Auf jeden Fall jemand, der ohne menschenverachtendes Gekreische selbst ernannter Führer der (vergleichsweise) jüngeren Zeitgeschichte auskommt. Selbst den Römern gegenüber.

Judas (Rabah Ameur-Zaïmeche), der versucht eine schützende Gefolgschaft für den Gang Jesu nach Jerusalem aufzubauen, wird an einer Stelle von Dorfältesten gefragt, ob dieser Galiläer, ob Jesus von Nazaret tatsächlich der Prophet sei. Seine Antwort ist eine Gegenfrage: "Hast Du ihn predigen gehört? Hast Du den Strom der Liebe vernommen, der in seinen Worten lag?" Das ist der Kern dieser Beziehung zwischen Judas und Jesus in HISTOIRE DE JUDAS: Liebe.

Rabah Ameur-Zaïmeche lässt seinen Jesus Liebe verströmen und dessen Jünger Liebe empfangen und ausleben. Nicht im sexuell-körperlichen Sinne, doch auf jede andere Art zu der ein Mensch fähig ist zu lieben. Verpackt wird diese Geschichte, einer einzigartigen Liebesaffaire zu Hunderten, in warmem Licht und malerisch durchkomponierten Bildern betörender Landschaften. Ist das irgendwann Zuviel des Guten? Nein.

Denn letztendlich hört Ameur-Zaïmeche genau zum richtigen Zeitpunkt auf und verbietet sich (nicht nur) die Auserzählung der Judasgeschichte (sein Judas ist hier auch nur ein Opfer von Intrige und Täuschung unter vielen). Das große pathetische Wiederauferstehungs- und Wundergeklingel, aus dem sich schließlich das Christentum erheben sollte, ist bei ihm nur eine Randnotiz im letzten Bild des Films. Und auch dann sieht Jesus verdammt gut aus.

HISTOIRE DE JUDAS | F 2015 | Rabah Ameur-Zaïmeche | 99' | FORUM