Berlinale 2015 - Bulletin (6) - NASTY BABY

"It's just such a selfisch attitude." - Freddy bespricht mit seinem Galeristen sein nächstes Projekt. Eine Videoinstallation soll es werden, bei der er, ein erwachsener Mann Ende 30, sich als Baby geriert. Glucksend, sabbelnd, zappelnd, nackt. Er will diesen Spleen, seinen Spleen thematisieren, unbedingt ein Baby zu bekommen. Er, ein schwuler Performancekünstler, der mit seinem Partner in New York lebt. Er, der mit seiner besten Freundin diesen sehnlichen Wunsch teilt, zusammen ein Baby zu haben, Familie zu sein.

(c) Versatile Films/Funny Balloon Films/IFB 2015

"I wanna have such a cute little thing", sagt die Freundin Polly später im Film zu den beiden Männern, als sie die Kinderfotos von Mo durchblättert, Freddys etwas jüngerem Partner. Mo ist ein Afroamerikaner, groß, männlich, Vollbart. Freddy ist eher hager, markante Nase, weiß, Bart. Polly stellt sich vor, mit Mo's Sperma ein Baby zu machen, damit sie auch ein tolles hellbraunes Kind bekommen kann - so wie es gerade total im Trend liegt im Big Apple.

"Yeah, I understand - young cum," wird Freddy zu Polly relativ früh im Film sagen. Etwas angeknackst von der Nachricht, dass sein Sperma nicht potent genug ist, um Polly zu schwängern. Sie bittet ihn, seinen Partner zu fragen, ob der nicht - Sperma geben mag. Mo zögert zunächst, doch dann wird er doch einen Becher füllen

"Maybe, it didn't worked out, because you don't do it the usual way," wird mitten im Film, Mo, Freddy und Polly besuchen Mo's Familie, seine heterosexuelle Schwester beim Abendessen zu den Drei sagen und ihr Ansinnen infrage stellen, als nicht-heterosexuelle Patchworkfamilie zusammen ein Baby zu machen. Es gibt Streit.

Streit beziehungsweise Aufregung ist nicht selten in diesem Film, denn Freddy hat in Mo's Augen so einige "Angermanagement Issues". Kurz, er ist aufbrausend und reizbar. Insbesondere wenn der scheinbar verrückte und etwas verwahrloste ältere Nachbar Bishop viel zu früh am Morgen den Laubbläser schwingt oder sie im Vorbeigehen als Schwuchteln und Cocksucker beschimpft. Zweifelsohne: Bishop ist nicht der Sympathieträger in Sebastián Silvas NASTY BABY.

(c) Versatile Films/Funny Balloon Films/IFB 2015

Von Liebenswürdigkeit sind Freddy, Mo und Polly ebenso weit entfernt. Genau genommen ist ihre "selfish attitude" eine Untertreibung: Sie sind egonzentrische Kotzbrocken, die in ihren ach so alternativ eingerichteten Wohnungen voller Zimmerpflanzen mitten im durchgentrifizierten Brooklyn leben und auf ihren teuren Mac-Books herumklimpern. Snobs, die alles was nicht ihrem angeblich superliberalen, wohlhabenden Weltbild entspricht, hassen.

Denen die Toleranz längst abgeht, jedenfalls, wenn sie diese für andere als sie selbst aufbringen sollen. Und schon gar nicht für verrückte, eher mittellose Typen aus der Nachbarschaft. Filmemacher Sebastián Silva macht es uns einfach diese Figuren nicht zu mögen. Er wirft uns dieses Soziotop quasi zum Hassen vor. Anders formuliert: Er führt sie vor.

Doch nein, NASTY BABY ist keine Satire über eine der Realität entglittenen Kaste im nicht-heterosexuellen Kosmos. Dafür fehlt hier an allen Ecken das Gefühl für Ironie und vor allem für nuancierte Zwischentöne. Am Ende sitzen wir wortwörtlich vor einem Blutbad und einem Film, der sich als platte, illiberale Farce entpuppt, die leider nur viel zu viel über das enge Weltbild des Regisseurs erzählt. Mo's Schwester hatte recht: "Maybe it is just cool in New York?"

NASTY BABY | USA 2014 | Sebastián Silva | 100' | PANORAMA