Berlinale 2015 - Bulletin (9) - MOT NATUREN

Martin fantasiert: Die sexy Verkäuferin aus dem Outdoorshop streift um seinen Körper, fragt ihn flüsternd, ob er sie nicht von hinten nehmen wolle, oder ob sie ihm einen lutschen solle. Er sieht, wie sie vor ihm kniet, er ist kurz vor dem Höhepunkt, wichst intensiv seinen Penis - dann hört er eine Stimme rufen und stoppt blitzartig

(c) Mer Film/IFB 2015

Martin, ein Mann Mitte dreißig, der einem unbedeutenden Bürojob in einer norwegischen Kleinstadt nachgeht, und mit Frau und Sohn in einem unauffälligen Haus wohnt. Seine einzige wirkliche Freude im Leben sind die Wanderungen in die nahegelegenen Berge. Hier kann er ganz er selbst sein, zu Kräften kommen und sich auch mal mitten in der unberührten Natur einen runterholen - wenn ihn nicht gerade ein Jäger und dessen Hund dabei inflagranti erwischen.

In Ole Giæver's zweitem Langspielfilm MOT NATUREN begleiten wir diesen Mann (der vom Regisseur selbst gespielt wird) auf einem Ausflug oder vielmehr Ausbruch in die Wildnis. Dieser Kerl steckt, mit noch nichtmal vierzig, in so etwas wie einer Sinnkrise. Zwar hat er eigentlich alles, was in einem heteronormativen Leben erstrebenswert scheint (Frau, Sohn, Haus, Job), doch genau das lässt ihm keine Ruhe

Seine Überlegungen kreisen ungebremst, um den Zustand seiner Ehe, das eher gehemmte Verhältnis zum Sohn und die mangelnde sexuelle Befriedigung in seinem Leben: Vor ein paar Jahren hatte er mit seiner Frau noch wilden Sex, sie haben sich schmutzige SMS geschrieben und sich vor allem untenrum füreinander rasiert. Aber das ist alles lange her. Heute würde er am liebsten die Verkäuferin im Outdoorshop flachlegen.

Martins Gedanken sind ein nie enden wollender Strom an Selbstzweifeln, Fantasien, Erinnerungen, Träumen. Er geht mit ihnen auf den Bergen wandern oder vielmehr rennen. Und wir hören ihm beim Denken zu, die Tonspur ist ein einziges Selbstgespräch Martins mit sich selbst.

Ziemlich schnell wird deutlich, dass Unzufriedenheit in seinem Leben inzwischen alles andere überlagert und ihn von seinen Liebsten entfremdet. Die Ausflüge in die Berge, hoch über der Baumgrenze, in die weite, moosige Tundra und zu zauberhaften Seen, sind keine Auflüge. Es sind fortwährende Fluchtbewegungen.

Versuche, in eine andere, bessere, stillere Welt zu entkommen, in ein Paradies des Was-wäre-wenn. Was wäre, wenn er mit seinem Vater ein besseres Verhältnis gehabt hätte? Was wäre, wenn er sich einfach scheiden ließe? Was würde schon passieren, käme er jetzt hier mitten in den Bergen einfach ums Leben?

(c) Mer Film/IFB 2015

Die Umgebung, diese atemberaubenden, traumhaften Landschaften - die in einer Kombination aus weit schweifenden Totalen und einer geradezu kontemplativ schwebenden Steadycam eingefangen werden - sind dabei nicht Kulisse, sondern Resonanzraum für Martins ungebremstes Sinnieren.

Doch irgendwann erreicht Martin einen Punkt (und wir als Zuschauer ebenso), an dem ihn dieses Herumgrübeln nur noch nervt. Wo Initiative gefragt ist, oder vielmehr eine Entscheidung für etwas. Die Konsequenz, die er zieht, bringt ihn allerdings auch nicht weiter.

Ole Giæver's MOT MATUREN ist ein visuell beeindruckendes kleines Kinojuwel, das einlädt zu einem liebevollakonischen Trip in die konfuse Gedankenwelt eines modernen Mittdreißiger.

MOT NATUREN Out of Nature | NOR 2014 | 80' | Ole Giæver | PANORAMA