Berlinale 2017: Bulletin (3): THE MISANDRISTS

Am Ende dieses Films, soviel vorwegzunehmen ist erlaubt, wird es einen Penis weniger auf der Welt geben, allerdings stirbt deshalb niemand. Vielmehr entsteht Neues. Bruce LaBruces THE MISANDRISTS erzählt die Geschichte einer katholischen Mädchenschule irgendwo im Märkischen nirgendwo, Ger-wo-many 1999. Das kleine Internat hat acht Schülerinnen und vier Lehrerinnen – oder, wie man es genau genommen schreiben müsste: Schüler*innen und Lehrer*innen.

Drei der acht Mädchen, mittig: Isolde | (c) Foto: Bruce LaBruce/Jürgen Brüning Filmproduktion 2017

Doch selbst „Big Mother“, die Hausherrin (hinreißend überzeichnet gespielt von Susanne Sachsse), würde es so nicht schreiben, denn in ihrem Haus gibt es ausschließlich biologische Frauen – also mit naturgegebenen Mösen, dies glaubt sie zumindest. Penisse respektive Männer, so lautet ihre erste Hausregel, sind nicht erlaubt. Aber noch bevor das Abendessen serviert ist, hat sich bereits heimlich ein Mann ins Haus geschlichen oder vielmehr wurde er von einer der Schülerinnen ins Haus gebracht.

Er ist verletzt, er ist – auf der Flucht, so wird es dem Publikum zu verstehen gegeben. Allerdings hat er während seines Entkommens noch Zeit genug, um im Wald seinen hübschen Penis auszupacken und zu pinkeln. Bis Isolde ihn, Volker, entdeckt und schließlich unter Protest ihrer Mitschülerin Hilde aufsammelt und in den Keller des Internats schmuggelt. Wovor dieser Typ auf der Flucht ist, man kann es nur ahnen. Angeblich hat er etwas mit einem Anschlag auf die Börse in Berlin zu tun: „There is no point in explaining the right thing to the wrong people“, sagt der Dissident Volker.

Der Penisträger im Keller ist nicht das einzige Geheimnis, welches Isolde (anziehend verkörpert von Kita Updike) verbirgt. Auch sonst gibt sie sich zugeknöpft, auf die Annäherungsversuche ihrer Mitschülerinnen reagiert sie zurückhaltend: „I like you – as a comrad.“ Derweil gehen ihre Kameradinnen fröhlich miteinander zur Sache, ganz so wie es „Big Mother“ wünscht, aber bitte ohne Eifersucht: „Big Mother doesn't approve jealousy.“ Zum Abendessen sitzen Lehrerinnen, Schülerinnen und Big Mother zusammen am Tisch vor ihren Suppentellern (es gibt stets nur Suppe) und beten:
„To the mother,
to the daughter
and to the holy cunt.
A-wo-men!“
Dieses Mädcheninternat ist mehr als nur eine Schule, es ist eine revolutionäre lesbische Zelle, wie wir bald erfahren. Das Zuhause der FLA, der Female Liberation Army. Ziel von Big Mother ist es, das Patriarchat mit allen Mitteln zu beseitigen, die Welt aufzurütteln und sie einer neuen, weiblichen Weltordnung zu unterwerfen, sie „die Kraft der Östrogene“ spüren zu lassen. Ihre Mädchen sind ihre kleine Armee, für den Kampf ausgebildet durch Lehrerinnen respektive Schwestern: Im Biologieunterricht wird Parthenogenese, die eingeschlechtliche Fortpflanzung, unterrichtet und der Geschichtsunterricht konsequenterweise als HERstory-Lesson gegeben.

Die Schwestern | (c) Foto: Bruce LaBruce/Jürgen Brüning Filmproduktion 2017

Bruce LaBruce breitet mit THE MISANDRISTS eine Farce aus. Alles ist hier reichlich übersteuert. Die Dialoge werden nicht gesprochen oder gespielt, sie werden zumeist agitiert. Revolutionsromantik findet sich an allen Ecken im Haus, Anspielungen auf linksradikale Bewegungen der letzten 50 Jahre werden lustvoll überzeichnet oder regelrecht karikiert. Dieser Film zeigt sich als wunderbare Zumutung. Bruce LaBruce beweist jedoch auch einmal mehr seine Fähigkeit, dem klug beobachteten Zeitgeschehen mit kinematografischen Mitteln zu begegnen. Und so basiert dieses filmische Flächenbombardement linken Agitprops folgerichtig auf einer klaren, radikal-feministischen Botschaft.

Wo neo-konservative, neo-faschistische und religiös-fundamentalistische Ideologien erfolgreich die Debatten besetzen und auf die Politik übergreifen, ist Gegenwehr nicht nur angebracht, sondern dringend notwendig. Bruce LaBruce kommuniziert dies lediglich auf seine ganz eigene Weise und bleibt sich damit in einer Art auch selber als Filmemacher treu.

Wie Bruce LaBruce von Werk zu Werk (filmische) Grenzen neu zeichnet, wie er Konventionen in Stücke haut und vor allem, wie er erfrischend unverfroren den Fundus der Zeit- wie auch der Filmgeschichte ausplündert und gegen den Strich bürstet, irritiert jene, die sich in ihrer Komfortzone des Sag- und Zeigbaren häuslich eingerichtet haben. Und welche die Welt aus jener Filterblase heraus betrachten, in der sie selbst die Diskurshoheit besitzen.

Big Mother | (c) Foto: Bruce LaBruce/Jürgen Brüning Filmproduktion 2017
Auf der Berlinale 2017 feierte THE MISANDRISTS seine Weltpremiere. Und das Berlinale-Publikum, insbesondere beim traditionell linken Panorama, ist ein dankbares und freundschaftlich gesinntes Publikum für Bruce LaBruce – Kamerad*innen sozusagen. Gewöhnliche Kinogänger*innen (und darin insbesondere schwule Männer) werden THE MISANDRISTS weitaus weniger überschwänglich aufnehmen. Nicht nur, weil ein schöner Penis dran glauben muss, sondern weil sich auch eine wachsende Zahl nicht-heterosexueller Menschen in der westlichen Welt dem Irrglauben hingibt, neo-konservative und neo-faschistische Kräfte hätten ihnen etwas anzubieten.

Bruce LaBruces THE MISANDRISTS kann man daher auch als stolz erhobenen filmischen Mittelfinger lesen, der sich diesen Kräften entgegenstreckt. Zugleich wird einem progressiv linken Publikum – in diesen Tagen einmal mehr – die Notwendigkeit verdeutlicht, Haltungen in Handlungen umzusetzen. THE MISANDRISTS ist der richtige Film zur richtigen Zeit. Und ganz nebenbei auch noch äußerst unterhaltsam. The Revolution is my – girlfriend*!

THE MISANDRISTS | DE 2017 | Bruce LaBruce | 91' | PANORAMA